Endlich ist es mal wieder soweit. Wir haben uns den größeren Tourismusrouten angenähert und die ersten mutigen Freunde aus Deutschland wagen eine Reise nach Indonesien, um einige Tage auf Alytes zu verbringen. Seit der Karibik hatten wir, außer anderen Langfahrern, keine Besucher mehr an Bord. Wir freuen uns riesig!
Wir haben uns mit Moritz in Sorong verabredet. Dieses Städtchen liegt im extremen Westen West-Papuas und ist mit einem Flughafen gesegnet. Der Ankergrund direkt vor der Stadt ist voll mit Pinassen und Liveabord-Booten, von denen man sich sagt, dass sie es mit der Ankersicherheit nicht ganz so ernst nehmen. Immer wieder treiben einige von ihnen mit schleifendem Geschirr durch das Ankerfeld. Alytes wird also vor der Insel Doom (auch wenn das Insel-Stelzendorf aussieht wie aus dem legendären Videospiel: Die Leute sind extrem nett) in absoluter Einsamkeit geparkt. Wieder sind wir für den 20PS Motor an unserem Beiboot dankbar. Mit „Fawkes“ sind die 1,5 Meilen von Alytes bis zum Dock in der Stadt ein Katzensprung. Hätten wir den ursprünglich geplanten 5PS-Außenborder montiert, wäre das alles kein Spaß.
Bevor Moritz ankommt, haben wir noch Zeit das wesentlichste einzukaufen und Alytes klar für Besucher zu machen. Nach so langer Zeit ohne zivilisiertes Feedback zu unseren Hygienestandards haben wir schon fast vergessen, was der distinguierte Düsseldorfer gerade noch ertragen kann. Also werden die Decks geschrubbt, die Fenster geputzt, die Bäder noch ein wenig glänzender poliert (soweit das bei den etwas schrottigen Armaturen geht) und die Motoren gewartet. Wer weiß, wo der überall reinsehen will. Mina putzt noch die Bilgen mit ihrer Zahnbürste und schmückt den Mäusekäfig.
Tatsächlich schaffen wir es, Moritz am Usamina-Dock zu treffen. Ich bin immer noch verwundert, dass das geklappt hat. An einer kleinen Dockanlage, außerhalb des Ortskerns eines Nestes in Westpapua, zwischen ein paar rumlungernden Locals sowie einer Auswahl an Stangen geketteter Allfarbloris. direkt unter den Augen schläfriger Marineinfanteristen die Ihr desolates, im vermüllten Hafenwasser dümpelndes Schiff bewachen. Da steht er, keine Minute zu spät und über 12.000 Kilometer von Zuhause. Das er nicht in unserer Cruising-Permit steht und auch von der Polizei kein Surat Jalam (der Passierschein für Reisende in der Trouboe-Provinz Westpapua) hat, stört den passionierten Drittweltreisenden nicht.
Nach herzlicher Begrüßung geht es per Fawkes zu Alytes. Danach zurück für das erste Sozialexperiment im örtlichen Supermarkt noch frisches gekauft und dann geht es gegen Mittag auch schon in Richtung Misool.
Wir ankern entspannt im Kanal, der südlich von Sorong das Festland von der Insel Salawati trennt. Die Strömung setzt stark zu unseren Gunsten, so dass wir es in der kurzen Zeit bis zum Sonnenuntergang zumindest bis Pulau Arune schaffen. Der Kanal ist von Fischerhütten und Werften gesäumt, in denen die legendären Holzboote Indonesiens gebaut werden
Ein kleines mangroviges Inselchen. Eines von hunderten im Kanal. Wir werfen den Anker in Schlamm auf 12 Metern. Korrektes einfahren können wir bei dem Untergrund vergessen, der ist einfach zu weich. Aber hier setzt kaum Strom und der Wind ist eingeschlafen. Hinter uns ziehen im Licht des Sonnenunterganges noch einige Tanker durch das Fahrwasser im Kanal. Wir feiern Ankunft und gelungenes Ankermanöver mit Cocktails und Gequatsche.
Die nächsten Tage verbringen wir auf Misool und den umliegenden Inselchen. Wie das nördliche Raja Ampat ist die Landschaft von großartig geformten Karst- und Sandsteinfelsen geprägt.
Die Unterwasserszenerie ist atemberaubend schön. Wir ankern zunächst auf einem Plateau nördlich von Pulau Mustika, um nicht bei Dunkelheit zwischen den Riffen navigieren zu müssen. Am nächsten Tag geht es weiter in ein unfassbar schönes „Mikroarchipel“ um Pulau Balbulol. Wir befestigen Alytes mit Heck- und Bugleine zwischen einem Karstinselchen und einem Felsvorsprung. Das Wasser ist glasklar und schon beim Befestigen der Leinen können wir unglaubliche Riffe und wahnsinnigen Fischreichtum bewundern.
Der Liegeplatz ist ein Glücksgriff. Wir bleiben einige Tage hier und Moritz, der ja ohnehin schon so mutig war bis hier her zu reisen, macht seine ersten Schnorchelerfahrungen. Zum Gerätetauchen können wir ihn nicht bewegen, aber seine Tierliebe (ist alt Jäger) bringt ihn doch dazu das Schnorcheln zu mögen. Ganz schnell entwickelt sich vom „Jerman Dugong“ zum zweiten Jaques Custeau, der sich wie ein Baracuda über die Riffe bewegt.
Er hat aber auch einen guten Start, mit den vermutlich artenreichsten Riffen der Welt unterm Kiel. Abends gibt es Lagerfeuer und gegrilltes am Strand des Archipels. Über uns kreisen erst die Adler, später Fledermäuse unter der hellen Milchstraße.
Der Flugplan sorgt nach einigen Tagen für die Vertreibung aus dem Paradies. Wir haben eine ziemliche Strecke vor uns, denn der nächste Flieger geht ab Ambon. Das sind knapp 260 Seemeilen von Misool aus. Wir überlegen zunächst an einem sehr häufig beschriebenen Eco-Resort festzumachen. Es stellt sich aber heraus, dass die Mooringbojen dort belegt oder verschwunden sind. In der Umgebung kann man nur ankern, wenn man über neunzig Meter Kette hat. Alytes ist mit ihren siebzig also nicht geeignet und wir wollen die noch jungfräuliche „Einhundertmeter-Trosse“ zur Verlängerung nicht einweihen. Es geht daher direkt in Richtung Seram / Ambonia.
Aufgrund der vorhergesagten Strömungssituation entscheiden wir uns für den etwas längeren Weg um die Ostspitze Serams. Wir haben eine ruhige Überfahrt zwischen den Inseln. Der Wind ist schwach und der Motor läuft leider häufig mit. Größere Delfinschulen jagen beiderseits Alytes, hin und wieder reiben große Vogelschwärme einen Fischschwarm auf.
Im Süden, kurz vor Ambon machen wir noch halt an der Insel Saparua (vermutlich von den Niedernländern in einem Anflug verschrobenen Kolonialistenhumors auch Frikkadel genannt). Der Stadtstrand des Dörfchens Saparua versinkt im Müll. Wir finden vor der Polizeistation zwischen Glasscherben und Plastiktüten ein sichers Plätzchen für Fawkes. Die Jungs sind extrem nett, wie auch der Rest der Village People.
In der Stadt riecht es dagegen wunderbar nach Nelken und Muskat, die am Straßenrand in der Sonne trocknen. Schließlich sind wir vom alten Zentrum des niederländischen Gerwürzmonopols nicht weit entfernt. Im 17. Jahrhundert reichte es für den fulminanten Aufstieg der Holländer in ihrem „Gouden Euw“, dem Goldenen Zeitalter. Heute eher für ein kleines Zubrot für die Dorfbewohner.
An Land treffen wir einige Niederländer. Die Familien der Mädels kommen ursprünglich aus Seram, die Jungs sehen sich nun die Heimat an. Eine fröhliche Gruppe, ein kurzer Chat. Netterweise warnen sie uns noch vor dem Nasi Goreng mit Hünchen in dem Restaurant, dass wir gerade ansteuern. Also verputzen wir die Version mit Ei. Auch gut, und keine Salmonellen.
Am Abend kommen dann vier Männer mit Ihrem Boot vorbei. Nach kurzen Freundlichkeiten fragen sie uns, ob wir Tauchutensilien an Bord hätten. Haben wir. Sie haben Teile Ihres Stellnetzes verloren. Es hatte sich an einem Korallenblock verhakt und konnte nicht mehr an Bord gezogen werden. Wir helfen doch gern. Aber die Dämmerung ist schon in vollem Gange. Und wir haben keine vernünftigen Unterwasserlampen an Bord. Trotzdem bringen wir schnell die Ausrüstung zusammen. Alles übergezogen und ins Kanu gestiegen.
Die Jungs rudern wie die Weltmeister. Die Sonne sinkt immer weiter. Mann, das Netz scheint aber weit draußen zu sein. Die Sonne ist, angemessen tropisch, mit einem Plopp im Wasser versunken. Es ist schnell stockdunkel. Mein letzter Nachttauchgang ist schon einiges her. Ohne Lampe? Noch nie gemacht. In unbekanntem Gewässer? Auch nicht. Aber es gibt Hoffnung. Ein Boot des örtlichen Resorts fängt gerade ein Paar Hummer. Und die haben großartige Lampen. Wir bekommen eine geliehen und ich kann endlich, nochmal 100 Meter weiter, ins Wasser springen.
Die Wellen schlagen über mir zusammen. Dunkelheit. Kein Boden. Die Oberfläche ist erst grün und dann weg. Mein Tauchcomputer hat keine Beleuchtung. Mental Note: Nächstes Mal vorher die f+#*?ing Bedienungsanleitung lesen. Aber mit der Leuchte kann man die Zahlen schon ablesen. Leider ist die sol hell, dass bei jedem Check meine Nachtsicht dahin ist. Prima.
Langsam geht es nach unten. Fünf Meter, zehn Meter, fünfzehn Meter. Hier sollte doch eigentlich der Grund sein. Fünfzehn Meter hatten sie gesagt. OK. Weiter. Ich finde den Boden bei zwanzig. Luft ist OK. Wo ist das Netz. Ich ziehe ein paar Kreise. Die totale Dunkelheit wird scharf umrissen nur im Kegel der LED-Leuchte vertrieben. Ich tauche sehr nah am Boden, vielleicht 20 cm über dem Sand. Plötzlich eine Bewegung unter mir. Ein riesenhafter flacher, grauschwarzer Schatten. Adrenalin. Nochmal Adrenalin. Ich richte die Lampe voll auf den Schatten. Ein ziemlich kapitaler Stachelrochen, grau mit schwarzen Punkten, scheint durch die Lampe angezogen zu sein. Der meint, dass er da noch durchpasst. Super. Ich denke an den Australier, denn ein Rochen per Herzstich ins Jenseits befördert hat. Kein guter Gedanke in der Dunkelheit. Ah, da waren ja noch die tausenden, die ohne Herzstich klarkamen. Und die netten Rochen vor Morea. Stimmt, die haben sich so nett an uns geschmiegt. So einer wird das wohl sein. Er verschwindet in der triefenden Dunkelheit.
Wo ist denn nun das Netz? Weiter nach unten, weitere Kreise. Und endlich ragt es vor mir auf. Ein Riesending. Fünf Meter hoch, die Enden links und rechts kann ich nicht sehen. In den Maschen hängen im weißen Licht der LEDs geisterhaft die verendeten Fänge der letzten 48 Stunden. Nicht sehr viele, aber Genug um die Stimmung nicht noch weiter aufzuhellen. Wenn locken die eigentlich so an? Was ist eigentlich, wenn ich mich auch im Netz verfange? Da kommt wieder der Rochen. Er ist unter dem Netz. Hängt er drin? Dann wird er sicher beste Laune haben. Ich muss ans Arbeiten kommen. Erstmal in die andere Richtung tauchen und sehen, wo das überhaupt aufhört. Es sind vermutlich 25 Meter Netz. OK, nun am Boden entlang und herausfinden, wo sich die Leine mit den Gewichten in den Korallen verfangen hat.
Am Ende finde ich die Stelle und beginne des Netz von der anderen Seite aufzuwickeln. Dummerweise fangen die Jungs an der Oberfläche eines der Nylonseile ab und beginnen zu ziehen. Mich hieven sie gleich mit nach oben. Es geht schnell auf. Viel zu schnell. Ich war gerade zwanzig Minuten auf über zwanzig Meter Tiefe. Ein Schnellaufstieg ist tauchgesundheitlich nicht die beste Idee. Ich lasse das Netz bei 10 Metern los. Die Jungs ziehen weiter und kommen an ein Ende. Klar: das Ding hängt ja noch fest. Also gehe ich wieder runter. Super Tauchprofil. Jojo-Style. Auch das ist nicht gerade von führenden Medizinern empfohlen. Egal, mein Unterwassermalocher-Gen ist geweckt und der Job muss gemacht werden. So werden wohl auch Tauchunfälle gemacht. Und AKW-Unfälle. Mist. Kurzes Abwägen. Es müsste eigentlich in Ordnung sein. Also weiter runter. Das Netz ist schnell von der Koralle befreit. Ich gebe mir große Mühe, dass ich nicht drin hängen bleibe, während die Jungs wieder ziehen. Es klappt. Ich habe noch 40 bar in der Flasche. Muss wie Darth Vader geatmet haben. Für einen sehr ausgedehnten Safety Stopp auf 5 Metern muss Zeit sein. Als ich mich danach an Bord des Auslegerkanus wuchte sind noch fünf Bar im Tank. Maßarbeit. Dummheit, wie Heide später sagen wird. Recht hat sie.
Auf der Rückfahrt quatschen wir über das Fischen in der Bucht, über die Funktion der „Fish Aggregation Devices“ und das Leben als Fischer. Nette Leute, die vier im Kanu. Dann kann ich noch zusehen, wie die Männer den anderen Teil des Netzes bergen. Es sind über 170 Meter Stellnetz. Sie haben einen schlechten Tag und holen nur etwa 20 Markrelen aus den Maschen. Einige davon gehen an uns, als fleißige Retter.
Platt und zufrieden geht es an Bord von Alytes. Die anderen haben den verspäteten Sundowner fertig. Großartiger Tag.
Am nächsten Morgen geht es nach Ambon. Indonesien verabschiedet sich von Moritz mit einem Großaufgebot von Pottwalen. Überall tauchen die Riesen auf, atmen meterhohe Gischtsäulen und verschwinden mit einem Flukenschlag in den Tiefen. Wir staunen und geben höllisch Acht, nicht mit einem von Ihnen zu kollidieren.
In Ambon genießen wir noch ein letztes, sehr authentisches Essen mit Moritz. Früh am nächsten Morgen verabschiede ich ihn in die vertrauenswürdigen Hände von „Mr. John“, den Fahrer den wir am Abend mit einem vollkommen unbekannten anderen Gast im Restaurant unserer Wahl klargemacht hatten. Er hat’s zum Flieger geschafft. Farewell, es hat einen Riesenspaß gemacht!
Heide, was ist mit deinen Haaren? Ein Zopf? Oder eine Kurzhaarfrisur?
Und Fritze: Ist das angedeutete Bräune auf deinen Armen? Oder Photoshop? 😉
Liebe Grüße aus noch immer herbstlichem Düsseldorf bei 12 Grad (aber super Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt).
Hihi, das ist der Photoshopfilter „Segler-Hängerlook“. 😉 Zopf mit Mega-Ansatz und aufgesetzte Bräune. Eigentlich hängen wir den ganzen Tag am Computer in einem Hochhaus bei Euch um die Ecke, sind schneeweiß und laufen im strengen Designerlook rum. Das Boot gibt es gar nicht und die Fotos holen wir uns bei Fotolia und denken uns verrückte Texte aus. Oh, an Glühwein mag ich bei der Hitze hier gar nicht denken!!! Sind jetzt übrigens in Bali und morgen geht es zum Sighseeing (und die Tage dann endlich zum Friseur!!!)
Oh Moritz, aber Du hast das gute Gewissen, eine großartige Sache zu unterstützen. Und wir können uns an der Hosenblase ganz privat erfreuen. OK, privat, bis Du nicht mehr zahlst 😉
Es war ein absoluter Traum! Nochmal ganz lieben Dank für die tolle Zeit und herzliche Gastfreundschaft.
Für die Nichtveröffentlichung der „Jerman Dugong“-Bilder werde ich mein Leben lang zahlen müssen. Ist aber für alle Beteiligten die beste Lösung!