Nach Borneo weht uns im wahrsten Sinne des Wortes der Wind. Eigentlich wollten wir zwischen den Granitfelsen von Belitung schnorcheln. Doch der Wind drehte zu weit nach Nord. Da der Monsunregen die Waldbrände auf Kalimantan – oder auch Borneo – gelöscht hatte, verwirklichen wir einen ursprünglich verworfenen Plan und feiern Minas Geburtstag mit einer Horde rothaariger Waldmenschen.
Wir verlassen Ahmed Bay im Norden Balis mit dem Plan Belitung zu besuchen. Irgendwie haben uns die Bilder der Granitfelsen an unsere schönen Tage auf den Seychellen erinnert. Die indonesische Version stellen wir uns mindestens genauso schön vor. Auf Belitung soll man zudem ausklarieren können und es liegt auf der Route nach Singapur. Also eine perfekte letzte Station.
Die Realität holt uns ein. Wir wussten, dass es passieren würde. Wir sind spät in Indonesien. Sehr spät. Es war uns klar, dass der südlich wehende Monsun spätestens im November schwächeln würde. Eine Phase der Windstille würde folgen und dann kommt der Nordostmonsun. Er weht genau aus der Richtung, in die wir wollen: Singapur. Länger als erhofft sind wir durch die Flaute motort. Bali hätten wir in einem „Durchschnittsjahr“ so einfach schon nicht erreichen können. Vielleicht dank El Nino haben wir zumindest Windstille erlebt, keinen Gegenwind. Aber auf dem Schlag nach Belitung kommt der Nordostwind. Der Regen in der Bucht von Ahmed hat es angekündigt, nun ist er da. Wir versuchen mit allen Mitteln einen nordöstlichen Kurs zu halten. Die Segel sind so dichtgeholt, das wir auf den Schoten Harfe spielen könnten. Nach einigen Meilen läuft der Leemotor mit. Aber es hat keinen Zweck. Entweder wir motoren mit über zweitausendzweihundert Umdrehungen und 3,5 Liter Verbrauch gegenan (bei unter drei Knoten), oder wir lassen unsere Seglergene sprechen und fügen uns dem Schicksal. Es kann nur weiter nördlich oder südlich zurück nach Bali gehen. Dort liegt Kalimantan, dort hausen die Orang-Utans.
Ursprünglich wollten wir die ohnehin besuchen. Wir hatten die Rechnung ohne die brandrodenden Palmölbauern gemacht. Der ganze Südteil der Insel lag unter dichtem Rauch. Die Schulen blieben geschlossen, Erwachsene, Kinder und Affen lebten hustend im Rauch. Also hatten wir den Plan begraben, um stattdessen Komodo und Bali anzulaufen.
Der Nordostmonsun brachte nun den Regen. Sehr viel Regen. Genug, um die Feuer endlich zu löschen. Schlicht und einfach setzen wir neuen Kurs, diesmal auf die Mündung des Kumai River auf Kalimantan. Plötzlich segeln wir mit sieben Knoten durch die noch recht ruhige Javasee auf unser frisches Ziel zu: Das Dorf Kumai.
Ein kleines Problem gab es noch: Wir würden etwas länger als geplant in Indonesien bleiben. Dazu müssten wir unser Visum verlängern. Da Kumai aber ein „Port of Entry“ mit Büro der Einwanderungsbehörde ist, hoffen wir auf das Beste. Ein Fehler, wie sich später herausstellen wird.
Wir kommen kurz vor Einbruch der Dunkelheit an der Flussmündung an. Schnell wird klar, dass wir es nicht vor der Nacht bis zum etwa fünf Meilen flussaufwärts liegenden Dorf schaffen werden. Also entscheiden wir uns, in einer Flussschleife zu ankern und erleben eine ordentliche Überraschung: Unsere Alytes ist zwischen Wind und starker Tidenströmung hin- und hergerissen. Die gegenläufig wirkenden Kräfte führen dazu, dass unser Ankergeschirr am „Hahnepot“ hinter dem Schiff zum Liegen kommt. Ständig scheuern die Taue des Hahnepots an den Drähten, mit denen der Bugspriet gehalten wird. Wenn das zu lange dauert, geht dieser Teil des Geschirrs über den Jordan (oder den Kumai River, in unserem Fall). Wir müssen recht zügig handeln, da es nun sehr schnell dunkel wird. Die einzige Lösung scheint ein Heckanker. Wir bringen ihn aus und legen zur Sicherheit noch einige Schlauchteile um den Hahnepot (wir wissen ja nicht, was die Nacht und die Tidenkenterung so mit sich bringen). Die Lösung klappt. Alytes ist gut zwischen den beiden Eisen eingespannt und weder Boot noch Geschirr nehmen Schaden.
Am nächsten Morgen fahren wir mit der einlaufenden Flut flussaufwärts. Auf dem Weg weichen wir Tankern und Schleppverbänden aus, die gegen die Tide laufen. Alles prima, wenn auch ein wenig aufregend in der engen Fahrrinne. Kumai ist eine Überraschung. Mich erinnert die Skyline des Dorfes ein wenig an die Plattenbauten des „großen Dreesch“ in Schwerin. Auch Mina fragt sich, wer in all diesen Hochhäusern wohnt. Zumal die keine Fenster haben. Es wird zunächst ein Rätsel bleiben. Wir ankern im Fluss. Vor uns ein rostiger Frachter, neben uns eine riesige Ölbarke. Diese Ungetüme warten im Fluss darauf, mit „Palm Crude“ – also Rohpalmöl – beladen zu werden. Dann geht es per Schlepper nach Singapur, um dort raffiniert zu werden. Wahlweise als Speisefett oder als Zutat für unser gutes europäisches Autofahrergewissen: Es wird unserem Sprit beigemengt, damit wir uns ein wenig grün fühlen. Wie wir später sehen, wird für die Plantagen der Regenwald Borneos mit Feuer gerodet und durch vermeintlich wenig nachhaltige Schachbrettfelder ersetzt. Raum für Wildtiere und Vielfalt bleibt da nicht.
Als wir sicher liegen und die Motoren verstummen, bleibt es laut. Hunderte von Seglern (die Vögel, nicht die Wassersportler) sind auf der Jagd am Fluss und am Ufer hinter uns. Tausende. Später lernen wir, dass sie in den Plattenbauten ihre Nester bauen. Die Gebäude sind für die Vögel optimiert und dienen ihnen als künstliche Höhlen. Darin bauen die emsigen Tiere mit ihrem Speichel Nester und die wiederum landen in schmackhaften Speisen. In Kumai kann man sie aber nicht kaufen oder essen. Sie werden allesamt nach China, Malaysia und Singapur exportiert. Kein einziges Restaurant führt die Nester. Schade eigentlich. Wir probieren einige Varianten aus Zuchten später in Thailand. Wenn man sicher sein kann, dass sie aus der Zucht stammen, vermutlich eine Leckerei, die man mit gutem Gewissen genießen kann.
Minas Geburtstag nähert sich und wir wollen doch nicht ohne Gäste feiern. Andere „Bootskinder“ haben wir schon seit den Salomonen nicht mehr gesehen, also müssen wir uns etwas anderes ausdenken. Hmm, hier in der Nähe soll es doch ein paar Gesellen mit rotem Haar und fröhlichen Tischmanieren geben: Die Orang-Utans des Tanjung Puting Nationalparks. Perfekte Party-Gäste. Recht zügig konnten wir eine Bootstour in den Park organisieren. Mit Übernachtung im Dschungel, zwischen Krokodilen, Schlangen und Affen.
Gleich am nächsten Tag geht es los. Erst durch einen vom Goldabbau braun gefärbten Zufluss des Kumai Rivers, später durch einen schwarzen Fluss, der uns direkt in den Nationalpark führt. In den Baumkronen hocken links und rechts abwechselnd Nasenaffen und Makaken. Hinter einer Windung stürzt sich ein Eisvogeln auf einen unvorsichtigen Fisch und hinter den ersten Baumreihen, für uns unsichtbar, schreien am frühen Morgen die Gibbons. Tolle Atmosphäre in kühlem Wald.
Plötzlich wird unsere Führerin Tina aufgeregt. Der Motor des Schiffes stoppt und wir gleiten nur noch sehr langsam dahin. Da, direkt neben dem Boot sitzt ein wilder Orang-Utan. Wild, da er zu weit von den Futterplätzen der Forschungsstationen entfernt ist. Er kennt keine Bananen oder Yams sondern sammelt die vielen Früchte, Insekten und Blätter selbständig. Zurzeit hält er eine Pandanus-Frucht in der einen Hand und beäugt uns ruhig in den Ästen hängend. Recht dunkel ist er und sehr, sehr entspannt. Wir knipsen einige aufgeregte Fotos und lassen das Tier gleitend hinter uns.
Später werden wir an drei Forschungsstationen noch Fütterungen erleben. Hier kommen viele Tiere – meist nacheinander – zu Plattformen auf denen Bananen und Milch für sie bereit liegen. Wir sehen Weibchen mit jungem Nachwuchs, dominante Weibchen (gerade ohne Baby) und alle Sorten von Männchen.
Besonders freuen wir uns über die Ankunft von hintereinander eintreffenden, in Konflikt stehenden dominanten Männchen. Eigentlich gibt es von der Sorte nur eins, aber wenn sich die Kräfteverhältnisse verschieben, können auch mehrere beobachtet werden. Nach einem lauten Kampf im Wald kommt also zunächst ein erstes – erkennbar an den geschwollenen Wangen und dem großen Kehllappen – später ein zweites. Beide sind ziemlich lädiert und wir können nicht wirklich feststellen, wer wohl der Gewinner der Auseinandersetzung war.
Der „Geburtstagstisch“ auf den Plattformen ist reich gedeckt, nur die Tischmanieren sind für die gastgebenden Eltern dieser Party etwas zu robust. Gern stecken sich die Affen bis zu zehn Bananen in den Mund und klettern damit in privatere Bereiche des Waldes. Andere schälen geschickt alle zwei Sekunden eine Frucht und verschlingen sie oder geben sie an den Nachwuchs weiter. Die hinzugestellte Milch landet zum größeren Teil zwar im Magen, der Rest fließt gern die roten Zotteln hinab. Wir haben Spaß, die Affen auch. Mina wagt sich zeitweise ziemlich nah an über ihr sitzende Männchen heran. Bis ihr klar wird, dass dieser Beobachtungsposten nach all dem Milchkonsum gefährlich werden könnte.
Zurück auf dem Boot gleiten wir den Fluss ein Stück zurück. Es geht vorbei an zwei Krokodilen und Affenhorden, die gerade offenbar mitten in einer Mutprobe stecken: Wer will sich trauen, über den Fluss zu springen. Die Bildanalyse zeigt, dass sie dabei großen Spaß zu haben scheinen.
Eine Überraschung wartet in Form einer Mangrovenschlange auf uns, die es sich in einem Ast direkt neben dem Boot am ersten Ankerplatz gemütlich gemacht hat. Die Führerin ist recht aufgeregt und sorgt dafür, dass wir noch einge Bootslängen weiterfahren. Sie mag die aggressiven Schlangen nicht gerne zum Abendessen an Bord haben. Wir sind sehr einverstanden. Mina feiert mit Geschenken und einem „Geburtstagskuchen“ der indonesischen Art: Süßer Klebereis mit Zuckerbelag, Kokosmilch und Hühnchenflügeln. Sehr gut! Nach Feiern und quatschen verbringen wir eine Nacht inmitten lebhafter Waldgeräusche und -gerüche.
Zurück am Boot winken uns noch einige Aufgaben: Unser Visum ist abgelaufen. Wir wollen es zunächst in Kumai verlängern, schließlich hat dieser „Port of Entry“ doch ein Büro der Immigrationsbehörde. Das ist aber nicht ganz richtig, wie wir lernen. Es ist in Wirklichkeit in der 20 Minuten entfernten Stadt Pangkalanbun. Ich fahre mit dem Ojek, einem Moped-Taxi, hin und lerne am eigenen Leib die vermeintlich einzige Verkehrsregel in Indonesien: Der stärkere hat Vorfahrt. So gibt es also eine „Vorfahrt-Gewähren-Kette“. Fußgänger sind wertlos. Es folgen Radfahrer (vermutlich alle suizidal) dann kommen, als erste richtige Verkehrsteilnehmer, Mopeds. Dann die mit Beiwagen oder kompletter angeschweißter Garküche. Die können schon Kratzer am Auto verursachen, darum werden sie etwas ernst genommen. Dann also Autos, Pickups und fast ganz oben Palmfrucht-LKW und Palmöl-Tanker. Darüber soll es noch die Panzer der Armee geben, aber die haben wir nicht gesehen. Mein Fahrer ist ein Meister. Jetzt wird mir klar, dass es gut war, einen älteren Herrn auszuwählen: Es zeigt, dass er schon viele Jahre überlebt hat und entsprechend die richtigen Taktiken kennt. Sicher bringt er uns in die große Stadt. Das Büro der Einwanderungsbehörde scheint geschlossen. Keine Autos auf dem Parkplatz, die Türen zu. Wir klopfen (eigentlich sollte geöffnet sein). Keine Reaktion. Der Fahrer geht ums Haus nach hinten, ich folge. Wir stehen zwischen kruden Outdoor-Duschen und den Eingängen zu Privathäusern. Wäsche, Teppiche und Fische hängen zum Trockenen aus. Der Fahrer klopft an einer Hintertür und nach einigem Geraschel wird geöffnet. Ein verpennter Beamter in Unterhose steht in der Tür. Hinter ihm liegen die zwei Kollegen auf dem Boden, ein Fernseher läuft. Er bittet uns herein und in einem kargen Büro erklärt er mir (jetzt mit Hose), dass er das Visum hier nicht verlängern kann. Hierfür bräuchte er Kameras, Fingerabdruck-Scanner und vernetzte Computer. Das hat er alles nicht.
Wir müssen nach Sampit, ein fast 300 km entfernte Stadt. Aber nicht über eine Autobahn verbunden. Im besten Falle was wir als Landstraße kennen, weitgehend aber auch über „wassergebundene“ Feldwege mit einem Verkehr wie die B1 in Dortmund. Dabei sind die anderen Verkehrsteilnehmer zu 80 Prozent entweder Palmfrucht LKW oder Palmöltanker. Und die stehen weit oben in der Indonesischen Verkehrsnahrungskette. Um eine lange, sehr lange Geschichte kurz zu machen: Wir fahren die Strecke drei Mal und fliegen sie einmal. Am Ende haben wir für drei weitere Tage im Land ein offizielles Visum. Der Respekt vor dem unterbehosten Immigrationsoffizier hat also nochmal den preußischen Bürokratieglauben in uns geweckt. Es war aber auch ein wenig spannend.
Vor allem die Vogelperspektive über diese riesige, vormals bewaldete Insel. Selbst aus dem Flugzeug: So weit das Auge reichte nur noch Plantagen. Nur noch Palmöl. Traurig zu sehen, was aus dem wilden Land geworden ist. Natürlich freuen wir uns über die Jobs und Perspektiven, die dadurch vielleicht für viele der Bewohner entstehen. Wenn wir aber sehen, wie die meisten der Arbeiter in einräumigen Wellblechhütten längst der Straße leben, einzige Lichtquelle und einziges Möbelstück ein Fernseher kommt man ins Grübeln. An den äußeren Rändern dieser „Dörfer“ dann immer eine Moschee und zwei riesige Häuser. Umgeben von Gärten und Zäunen. Meist aufwändig gestaltet und entworfen nach dem hier überraschenderweise oft gesehenen Neo-Art-Deko-Stil. Ganz cool, eigentlich. Hier wohnt der Besitzer der Plantage, sagt der Fahrer. Wenn er mal da ist.
Eine Gruppe wird ganz sicher nicht mehr da sein: Die Orang-Utans.
4x 300km für schlappe 3 Tage Visum-Verlängerung … ?!!!! … Da stimmt für mich eindeutig das Gleichgewicht zwischen Aufwand und Nutzen nicht. Vogelperspektive hin oder her. Angesichts der drohenden Gefahren, sind wir sehr froh, dass Ihr alle wohl auf seid. Hut ab vor Euerm Engagement!
Großer Neid seitens Greta auf die Bekanntschaft mit den zotteligen Freunden, den Kuchen fand sie allerdings weniger spannend.
Liebe Grüße
Norma
Oh, wie recht Du vermutlich hast. Wir haben nur die Reports von Leuten gelesen, die Ihr Visum nicht verlängert haben. Man ist dann ja illegal im Land und je nach Beamten kann das schnell gelöst sein (mit etwa 30 Euro pro Nase pro Tag) oder man verbringt noch einen Tag im Büro und bei der Polizei. Nicht, dass ich nicht das vollste Vertrauen in die rechtstaatlichen Strukturen in Indonesien hätte. Hmm. Oder doch nicht ;-).
Die Autofahrten waren schon sehr, sehr krass. Aber wir wurden mit einem vermückten Aufenthalt in einem echten Road-House (so eine Art Truck-Stop auf Borneo-Art) belohnt und wir haben uns wieder farbenfroh an verschiedene Momente unseres Lebens erinnert. Das ist nämlich mehrfach schnell am inneren Auge vorbeigezogen. Im Fernlicht zweier sich überholender und uns entgegenkommender LKW auf der Schotterstraße.
Die Affen rocken aber wirklich.
Liebe Grüße von uns allen an Euch alle, ganz besonders von Mina an Greta,
Fritze