Atlantiküberquerung (02.12.2014 – 06.12.2014): Flaute? Welche Flaute?

Seit sieben Tagen zeigt uns die Wettervorhersage, dass wir ab dem 45.
Längengrad in einer Flaute stecken müssten. Was haben wir uns für
Gedanken gemacht: So kurz vorm Ziel nochmal im Schwachwind dümpeln? Mit
Martinique im Blick verhungern und verdursten, weil die Vorräte nicht
reichen? Wir haben die Dieselprognosen dreifach gecheckt. Wir haben die
Tankanzeigen befragt und letztendlich die Betten ausgebaut um zu sehen,
wie weit wir unter Motor wirklich fahren könnten (dabei hat sich
gezeigt, dass die von uns verwendete Prognosemethode etwas zu
konservativ ist; wir hatten mehr Diesel als gedacht). Wir haben den
Energieverbrauch drastisch reduziert. Die Selbststeueranlage nutzen wir
nur im Notfall, der Inverter ist aus. So werden die Elektrogeräte nur
kurzzeitig am Tag geladen. Und das restliche Fleisch haben wir aus der
Tiefkühltrue ins Eiswürfelfach gelegt, um die Truhe vom Netz zu nehmen.
So sparen wir und Diesel, da unsere Solarzellen für die Versorgung
ausreichen.

Und dann kam sie nicht. Die Flaute. Jeden Tag, an dem wir neue
Grib-Daten (so heißen Wetterberichte heute unter Seglern) laden,
begleitet uns der Wind ein wenig länger. Aber morgen wird sie kommen.
Und am nächsten Tag? 13 Knoten Wind.

Heute, am Nikolaustag, rasen wir mit über sieben Knoten hart an einem 15
Knoten-Wind direkt auf Martinique zu. Es sollte Flaute herrschen. Heide,
die Chef-Navigatorin sagt noch ca. 29 Stunden bei aktueller
Geschwindigkeit voraus. Es sind deutlich unter 250 SM bis zum Ti-Punsh
unter karibischen Palmen. Jetzt haben wir Blut geleckt. Ganz auf die
Sicherheit verzichten wir nicht: Sind wir in den letzten Tagen noch mit
unserem improvisierten Mast und dem ebenfalls improvisierten Code-Zero
(ein sehr leichtes Schwachwindsegel) gefahren, haben wir nun mit der
Genua ein stärkeres Segel gesetzt. Wir kommen näher an den Wind und
riskieren nicht, dass uns eine der nun häufigen Regenfronten das Rigg
zerreist. Aber es ist noch immer ein Ritt. Die Wellen hatten nicht genug
Raum, um aus der neuen Windrichtung Höhe aufzubauen. Alytes hoppelt mit
gewisser Leichtigkeit über die Ein-Meter-Hügel. Unter Deck ist es bei
den hier herrschenden feuchten 30°C schon etwas mulmig. Auch uns nun
eingeschworene „Crossing-Crew“. Mina und Heide sehen sich trotzdem unter
Deck ein Film an. Chapeau.

Die Nächte sind in den letzten Tagen hinreißend. Nach täglichem
Dämmerungsfeuerwerk segeln wir unter einem vollen Mond durch helles
Zwilicht. Wann immer die Wolken auf dem Rückzug sind, explodiert der
Himmel mit Sternbildern und Meteoriten. Wir steuern meist in kurzer Hose
und T-Shirt. Nur die Weste muss natürlich sein, und die Pickleine
verbindet die Wachhabenden in der Nacht mit dem Boot. Denn wenn hier
einer über Bord geht, merkt der Rest der Crew es vermutlich erst drei
Stunden später.

Das Meer ist nun voll treibenden Seetangs. Gelblich-braune Teppiche
schweben im tiefen Blau. Zum Teil werden sie so dicht, dass unsere Angel
ein Sträußchen einfängt. Leider finden sich kaum Fische, die auf diesen
Köder anbeißen. Entsprechend haben sich unsere Erfolge auf dem Gebiet
reduziert (Wir haben ohnehin noch genug Fleisch an Bord). Auch Alytes
fängt ihren Teil. An den Rudern haben gestern große, buschige Nester
gebildet. Uns ist das aufgefallen, da das Steuer schwergängig wurde. Ein
paar Bilder mit der Unterwasserkamera von der Badeplattform aus brachten
Gewissheit. Also beigedreht, Taucherbrille auf und wieder mal bei über
5.000 Meter Wassertiefe schwimmen gehen. Das Wasser ist bei 27 °C, macht
also Spaß. Und die 4,5 Meter Welle bei vier Knoten Fahrt vom letzten Mal
hatten wir auch nicht (Oups, jetzt habe ich micht verplappert. Die
Geschichte wollte ich eigentlich gar nicht schreiben ;-).

Die Crew ist nun optimal einespielt. Wir essen gut und viel (bis auf
Janne, der will seine Frau mit einem noch härteren Körper überraschen),
aben alle Probleme im Griff und sind insgesamt guter Dinge. Zur Zeit
lachen wir vor allem darüber, wie uns die abstrakten und gelegentlich
willkürlichen Wetterdaten in emotionale Extreme bringen. Mir ist nun
klar, wie das Orakel von Delphi funktionierte. Mina hat exorbitant coole
Nikolaus-Geschenke gebastelt. Alle haben stinkige Segelschuhe voll m&ms
bekommen (die dann verstohle ins Wasser geworfen wurdne, da die
Geschmacksrichtung „Käsefuß“ nicht so angenehm schmeckt) und Mina steht
jeden Morgen mit Ingo und Mir vor Sonnenaufgang auf um den
Adventskalender zu prüfen.

Uns fehlen zum kompletten Glück also nur noch ein paar Wale. Und dann
Land in Sicht.

Buch: Zaubern für Dummies, Teubner: Fish und Meeresfrüchte
Musik: David Bowie: Best of Bowie

Ein Gedanke zu „Atlantiküberquerung (02.12.2014 – 06.12.2014): Flaute? Welche Flaute?

  1. Konstanze Stegbauer

    Hallo ihr Lieben !
    Bald habt ihr es geschafft ! Wir freuen uns so sehr für Euch, gleichzeitig wächst der Neid. Die Temperaturen… die Aussicht auf ’nen coolen Drink´mit Reggae… Oh Mann… Da ich morgens die erste bin (zusammen mit Johannes, der aber noch nicht lesen kann 🙂 schaue ich inzwischen täglich nach den neuesten Berichten und der Position, die ich dann Ralph zum Frühstück berichte. Wir sind sehr gespannt Eure Fahrt zu verfolgen.

    Zwischenpost von Johannes:
    Hallo Mina,
    viel Glück bei Eurer 2-Jahres-Fahrt. Ich freue mich für dich, dass du so viele neue Sachen entdeckst. Was du noch nicht weißt: Wir haben jetzt auch 2 Haustiere – so wie du – nämlich zwei Vögel. Es sind zwei Wellensittiche, einer heißt Micki und einer heißt Jojo.
    Johannes

    Bei uns ist der Winter eingezogen, Morgens Holzofen anfüttern, im Kalten die Zeitung holen, Eis kratzen…. Brrrrr….. Eigentlich ist Weihnachtszeit, aber am 18.Dezember fliegen wir nach Südafrika. Daher kommt keine rechte Stimmung auf, auf den Baum haben wir verzichtet. Lediglich an der Tür hängt ein kleiner Tannenzapfenkranz. Ralph ist geschäftlich noch mal so richtig eingespannt. Er arbeitet fast jede Nacht und hat sogar heute (2.Advent) ein Meeting… Er hat weder mit Weihnachten noch mit Afrika was am Hut. Hauptsache, am 18. steht er da wenn das Taxi in Richtung Flughafen fährt.
    Wir freuen uns sehr, dass es Euch gut geht und dass Ihr die lange Überfahrt gut überstanden habt. Unser Leben mit Kälte, Weihnachtsmarkt und Meetings ist weit weg… wir würden gerne mal tauschen!
    Nach 23 Jahren bei der Lufthansa halte ich es immer noch realistisch, dass wir uns irgendwann irgendwo noch mal sehen. Das „ich mach das jetzt und flieg‘ dann mal weg“ Virus ist bei mir inzwischen genetisch eingebrannt. Vielleicht klappt das nächstes Jahr und wir treffen uns im Pazifik.
    Seid sehr herzlich gegrüßt aus Frankfurt am Main !

    Konstanze

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