Nevis – Ein magischer Moment (19.01.2015 – 20.01.2015)

 „Harmless“
-Hitchhikers Guide to the Galaxy, Entry for Planet Earth. Perfect match for Nevis.

„Mostly Harmless“
-Hitchhikers Guide to the Galaxy, second entry for Planet Earth. Perfect match for Nevis.

Eigentlich wollten wir zu Nevis nichts schreiben. Nicht, dass die Insel nicht schön wäre. Nicht dass wir die Leistung der Menschen respektierten, hier eine funktionierende Inselnation zu erhalten. Aber es gibt außer eher kurzen Wanderwegen und hübschen Sandstränden auf denen sich verträumte Honeymooner und Kreuzfahrer aalen, einfach nichts.

Der Strand von Nevis. Managed Caribbean Feeling. Für Kreuzfahrer und US-Anwälte

Der Strand von Nevis. Managed Caribbean Feeling. Für Kreuzfahrer und US-Anwälte

 

Wir kamen mit einem Kühlschrank und einer Kühltruhe voll Wahoo auf Nevis an. Alytes roch noch nach Fischfabrik, als wir in die No-Fish-Zone von Nevis einliefen. In der Hoffnung, ein WLAN aufzuschnappen nehmen wir vor Sunshines Beachbar eine Boje auf. Auch in der Hoffnung auf seine karibikweit gefeierten „Killer Bee“-Cocktails. Die haben wir uns nach dem Wahoo verdient.

Auch Nevis hat einen Vulkan. Der ist aber, wie so vieles hier, harmlos

Auch Nevis hat einen Vulkan. Der ist aber, wie so vieles hier, harmlos

Es geht also zum Einklarieren. Wie in den meisten der kleinen Staaten bedeutet das Zoll, Einwanderung und „Port Authority“. Alles recht harmlos, eigentlich. Wir sind es gewohnt und laufen ausnahmsweise zu dritt los, um die Formalitäten zu erledigen. Danach wollen wir Eis und Cocktails.

Nevis ist insoweit OK, als dass alle Verantwortlichen zusammen in einem Gebäude untergebracht sind. Wir gehen eine Treppe hinauf. Vor den Räumen reinigt eine Hausmeisterin in mittlerem Alter den Boden. Es riecht professionell nach Chlor. Mindestens das Büro des Zolls scheint besetzt zu sein. Ein paar Mücken ärgern uns, als wir auf Einlass warten. Wir fläzen uns auf ein ausgesessenes Sofa aus dem fast kein Hochkommen möglich ist. Karibische Amtsroutine.

Der Zollbeamte ruft uns herein und es geht schnell. Bootspapiere, Ausweise, Durchschläge. Fertig. Wir sind sogar schon für die morgige Abreise ausklariert. Mit seinem Stempel geht es wieder in den Wartebereich.

Die Beamtin der Einwanderungsbehörde kommt gerade vom Mittagessen. Es geht ebenfalls schnell. Die Beamtin mit der sehr üppigen Figur in der sehr engen Uniform hat sich auf dem Weg durch den Wartebereich kurzerhand in Mina verliebt. Sie ist freundlich und schnell. Wir sind dankbar und nehmen ihren Stempel zum Büro der Hafenbehörde, wo wir die Boje bezahlen müssen.

Die Tür ist zwar auf, aber niemand ist drin. Die Dame von der Einwanderung ist schon wieder aus dem Haus, der Mann vom Zoll hat die Tür geschlossen.

Die Hausmeisterin sieht uns fragend an. „What’s the problem?“ fragt sie.

Den letzten Kontakt mit Hausmeistern von Behörden hatte ich im Straßenverkehrsamt meiner schönen Heimatstadt Bochum. Damals ließ man mich – und viele andere – über zwei Stunden warten, bis ich eines der Büros betreten durfte. Ich bearbeitete gerade mit einem Team aus sechs Beratern ein recht komplexes Projekt und saß auf heißen Kohlen. Also ein Platz gesucht und mit Notebook und iPhone die Zeit mit Arbeit vertrieben. Als der Strom des Rechners zur Neige ging, habe ich das Netzteil in einer Dose unter meinem Stuhl eingesteckt und weitergearbeitet. Für drei Minuten. Denn dann kam der Hausmeister. Und er sagte mir: „Das dürfen sie nicht!“. Ich sah ihn fragend an. Meinte er das Projekt? Die unangemessen kurzgehaltene Mail an mein nettestes Team-Mitglied, die ich gerade versenden wollte? Er nochmal: „Ich sagte: Das dürfen sie nicht!“. Ich fragte also nach. „Guter Mann, was meinen Sie denn?“. Mir stand der Sinn eher nach einem Bochumer „Ey Alter, wat willst Du denn von mir?“ Denn das Warten hatte mich mürbe gemacht. Aber: ich wollte ja keine Konfrontation sondern nur ein paar Fragen zu meinem Wagen klären. Seine Antwort hat mich umgehauen: „Sie nutzen widerrechtlich Eigentum der Stadt Bochum.“ Dabei zeigte er auf die Steckdose. Ich sagte, dass die Stadt Bochum gerade widerrechtlich meine Zeit verschwenden würde. Ups, da war sie dann doch die Konfrontation. Das ging dann etwas länger hin und her. Zu lange, um es hier auszubreiten.

Das waren meine Gedanken, als die Dame nachfragte. Ich erwartete also nichts Gutes.

Aber dann erleben wir einen dieser magischen Momente, wie wir sie gelegentlich – nein, sehr selten – nur auf Reisen erleben. Einer der Momente, der einem die Augen öffnet und die verkrusteten Schuppen von denselben reißt. Andreas Altmann hat diese Momente wunderbar in seinem Buch „Gebrauchsanweisung für die Welt“ beschrieben.

Heide erklärt ihr kurz, dass wir auf die Hafenbehörde warten würden.
Sie geht ins Büro des Hafenmeisters. Heide und Mina wollen schon mal die Eisdiele suchen.
Die Hausmeisterin ruft vom Telefon des Beamten dessen Mobiltelefon an. Geht nicht dran. Sie macht ein genervtes Gesicht. Sie wählt noch eine Nummer und sieht dabei auf die Uhr. Keiner geht dran. Das Gesicht wird noch besser. Ich kenne den Ausdruck nur von ungeduldigen Eltern die an der offenen Haustüre stehen und sich fragen, warum ihr neunjähriges Kind noch immer nicht verstanden hat, wie man sich eine Schleife zubindet.

„OK“, sagt sie. „Hang on“. Sie stellt den Wischmopp in eine Ecke. Sie setzt sich und öffnet eine Schublade. Holt einige Formulare und Durchschläge raus. Ich schaue ungläubig aber leise lächelnd zu. Ein Stift hat sie in der Tasche. Und nun beginnt sie tatsächlich das Formular auszufüllen. Fragt nach den Dokumenten von Zoll und Einwanderung. Nickt zufrieden nach der Prüfung. Hält mir das ganze zur Unterschrift hin. Dann unterschreibt sie.

Plötzlich öffnet sich die Tür. Ein bärtiger, uniformierter, stattlicher Mann kommt herein und sieht sie fragend an. Der Hafenmeister. Mir stockt der Atem. Jetzt gibt’s wohl einen Einlauf, wie man bei uns so schön sagt. Er setzt zu einem inquisitorischen Monolog an. Sie unterbricht ihn in sehr zackigem kreolisch (ja, das geht) und endet mit einem sehr deutlichen, englischem „So where is the stamp?“. Die Frage sollte offenbar nicht unbedingt privat bleiben.

Er schweigt, öffnet eine Schublade. Stempeln darf er selbst. Das macht er sehr still. Wir haben die Unterlagen. Sie sieht uns vollkommen entspannt an. Normal halt. Nimmt sich den Mopp. Auf dem Ausweis an Ihrer Brust steht „Nevis Customs Department, Janitor“.

Ich wusste endlich mit Sicherheit, das Outsourcing von Facility Management ein Holzweg war.  Wir haben es erlebt.

Tip to the head to the Nevis Customs Department! Thank you so much!

Musik: Eminem, Encore
(Hör-)Buch: The Diamond Age, Neal Stephenson (bitte nur im Original lesen / hören)

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