Pazifikpassage: Kurzweilige Erlebnisse

Zugegeben, die letzten Nachrichten von uns waren doch ein wenig zu
generisch. Als kurze Lebenszeichen haben sie sicher ihren Zweck erfüllt.
Aber Lesespaß ist vielleicht etwas anderes und wir wollen uns ja auch
noch an das eine oder andere erinnern, wenn wir das Blog in einigen
Jahren lesen.

Anbei gibt es mit „Huevos Revultos“ eine Episode, die wir schon etwas
verkürzt beschrieben haben und eine neue, die allein wegen der Menge an
Blut, verbrannter Haut und Heldentaten spannend sein sollte. Beide
trugen sich auf dem Pazifik zu. Weit weg von jedem rettenden Ufer.

Beginnen wir mit der zweiten. Denn sie ist jünger und enthält keine
Referenzen zu menschlicher Anatomie. Die erste kommt mit dem nächsten
Posting.

Angeln für Fortgeschrittene – oder wie man mit einem Fisch seine Crew
dezimieren kann

Seit einigen Tagen haben wir bereits das letzte Drittel unserer
Überfahrt erreicht. Zweitausend Seemeilen sind geschafft, noch
eintausend liegen vor uns. Zu diesem Zeitpunkt geschehen auf Booten nach
meiner Erfahrung zwei Dinge: Zum einen wird jeder etwas hibbelig, da man
im Geiste die Strände, Bars und Happy-Hours schon zu riechen glaubt. Zum
anderen schaut man besorgt auf den verbleibenden Proviant. In unserem
Fall konkret auf die Huhn und Fleischvorräte.

In Kombination (hibbelig und psychosomatisch verhungert) werden jeden
Tag die Angeln ausgebracht. Mal laut, mal leise schallt es „Fischi,
Fischi, Fischi“ über das Deck. Eigentlich nur unterbrochen vom hämischen
„Dishi, Dishi, Dishi“, das Esteban ruft, wenn Lukas mal wieder eine
Runde Backgammon verloren hat, bei der es um den Abwasch ging.
Gleichzeitig werden die wildesten Theorien aufgestellt: Haben schon
lange keine Exocets (fliegende Fische) gesehen, vielleicht gibt es hier
überhaupt kein Leben im Wasser. Oder: Unsere Köder sind zu klein. Oder:
Wir sind mit unseren acht Knoten zu schnell für die Fische. Oder, oder
oder. Es wird wieder klar, warum sich gerade bei Seeleuten so viel
Aberglaube entwickeln konnte.

So kam es nun, dass wir mit achteinhalb bis neun Knoten über die Wellen
rasen. Für Alytes schon sehr schnell. Vor ein paar Stunden hatten wir
beim Surfen mit 16,4 Knoten fast schon unseren Rekord von 17 erreicht.
Der Parasailor steht perfekt. Es bläst mit zwanzig Knoten.

Plötzlich das reißende Schnarren der Angel. Die Bremse ist leicht
eingestellt, zügig rauschen 30, 40 und 50 Meter durch. Ich renne hin.
Bremse festzurren. Das Biest zieht weiter. Alytes zieht in die andere
Richtung. Wieder 10, 20, 30 Meter. Die Rolle leert sich alarmierend
schnell. Klar ist: Wenn sie am Ende ist, wird sie vermutlich reißen und
wir verlieren viel Leine, Köder und natürlich den Fisch. Also mein
Hilferuf: Können wir Speed aus dem Boot nehmen? OK, höre ich. Und die
drei anderen machen sich daran, den Parasailor bei zweiundzwanzig Konten
zu bergen. Eigentlich hätten wir tauschen müssen: Fritze ins
Parasailor-Team, einer der Jungs an die Angel. Vielleicht war es der
Trennungsschmerz, der nach dem Verlust von fünf Ködern am Anfang unserer
Passage noch immer in meinem Herzen bohrte. Trotzdem falsch. Egal. Ich
also an der Angel. Klassischer Kampf: Eine Welle schiebt den Fisch
heran, die Angel hochreißen, drei Meter Leine aufnehmen. Der Fisch
zieht, vier Meter Leine sind wieder von der Rolle. Hoffen.

Da geht von links plötzlich die Sonne auf, so scheints. Und Schreie
gellen über das Deck. Ein riesiges gelbes Licht schiebt sich in mein
Gesichtsfeld. Der Parasailor. Sonst ist diese fröhliche Farbe immer ein
Quell der Freude an Bord. Aber hier sollte sie nicht wehen. Denn sie ist
viel zu weit achtern. Darunter scheint eine Figur zu hängen. Aus dem
Augenwinkel sehe ich Lukas etwa eineinhalb Meter Höhe an der Bergeleine
des Parasailors hängen. Zum Glück noch überm Deck. Er lässt los. Das
Segel bläht sich auf, der Bergeschlauch rutscht hoch. Wieder ein Schrei,
diesmal von Heide. Sie lässt beide Niederholer los, da nun 22 Knoten an
145 Quadratmetern leichtem Tuch zerren. Trotz der Belegung auf den
Winschen nicht zu halten. Dank der von Ihr eingesetzten Achterknoten
rauschen die Leinen nicht komplett aus. Der Parasailor steht also wieder
prima. Nur leider in acht Metern Höhe (Unterkante) und vier Meter neben
der Bordwand. Die Bergeleine hängt ebenfalls außer Reichweite über dem
Wasser.

Esteban pustet sich in die Handflächen. Denn die Leinen sind auch durch
seine Hände gegangen und er hat etwas zu spät losgelassen. Lukas sieht
dankbar und ungläubig auf seine. Es riecht nach verschmortem Autoreifen
und gebratenem Fisch. Glücklicherweise hatte er ein paar dieser
Schutzhandschuhe aus Baumwolle und Gummi an. Damit wollte er eigentlich
den Fisch aus dem Wasser ziehen, jetzt haben sie seine Handflächen gerettet.

Missmutig stecke ich die Angel in die Halterung und sage schon mal still
dem Fisch adieu. Schnappe mir die Winsch, auf der die Steuerbordschot
des Parasailors als letzte noch belegt ist. Winschen bis der Ballon
längsseits und erreichbar ist. Ran an die Holeleine des Bergeschlauchs
und kräftig gezogen. Ein wenig gehts, dann ist Schluß. Esteban ist zur
Stelle , er hat bemerkt, dass ich mich gegen die andere Seite der
Holeleine abmühe. Die hat sich in einem anderen Tau verheddert. Schnell
zuzelt er das Ganze auseinander und nun geht es recht zügig. Der
Parasailor ist im Schlauch gebannt, Heide, Tebbi und Lukas bergen ihn
nun in unseren „Segelraum“.

Wieder zum Fisch. Zerren und kämpfen. Drei Meter, vier Meter, er ist
noch dran und er ist schlapp. Lukas ist mit Rettungsweste, Gaff und
Sicherheitsleine zur Stelle. Er pickt sich ein und gemeinsam fiebern wir
dem Fisch entgegen. In einer Welle zeigt er sich dann: Ein ziemlicher
Brocken, schillert dunkelsilberblau und bewegt sich schon wie ein
richtig großer Fisch. Noch einige Meter, Lukas packt zu und holt ihn
raus. In wenigen Sekunden steckt eine Klinge in seinem Hirn (nicht
Lukas, dem Fisch) und das Leiden ist vorüber.

Ein 1,67 Meter „Spearheaded Billfisch“ (in einem nächtlichen Posting
hatte ich ihn – glaube ich – falsch benannt. Unser Fischführer sagt
„good taste and good commercial value“. Das ist so eine zwei minus…

Lukas macht sich tapfer und bald schon routiniert ans Ausnehmen. Ich
enthäute die eine Seite, er beginnt mit der anderen. Aus der Küche höre
ich dann ein „Mist“ oder so. Blut spritzt. Lukas hat sich mit dem schön
scharfen Fischmesser in den Finger gesäbelt. Also kommt unser guter „Sea
Doc Sailor 2″ zum Einsatz. Schön säubern, desinfizieren, Druckverband
und „Melanie“ das Superpflaster drüber.

Esteban hat von Heide derweil Brandsalbe für die Flosse bekommen und ist
schon wieder fit. Ich mache also den Fisch zuende fertig. Die Ausbeute
sind über zwanzig Steaks und vier gute, dicke Fillets aus dem Schwanz.
Zwei Stunden später sitzen wir bei gegrilltem Fisch und Estebans
großartigem Risotto zu Tisch und grinsen. Alles gut gegangen. Der
Parasailor ist wieder draußen, wir fahren über sieben Knoten auf Hiva Oa zu.

Beim nächsten Mal eine unserer (mittlerweile vielen) „Lessons Learned –
The Hardway“:

Huevos Revultos
– oder Warum man bei Seegang keinen Klettergurt als Zweitsicherung im
Mast tragen sollte

2 Gedanken zu „Pazifikpassage: Kurzweilige Erlebnisse

  1. Andreas

    „Guten Appetit“ diesmal auch als Lebenszeichen vom „Altblogger Andi“. Wochenende vor der Brust, Sonne in Bochums Strassen und Gedanken auf der offenen See. Weiterhin gute (Über)Fahrt von KSA

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