Feuertaufe – Kanarische Beschleunigungszonen

Bis zu 30 Knoten Wind. Alytes entdeckt Ihre Regatta-Gene. Und wir den „Segelsport“. Am Ende sind wir froh, mit dem Lehrgeld im im Budget geblieben zu sein. Und Minas Kommentar?

Wir beginnen die Abreise von Fuerteventura gut vorbereitet. Wir hatten eine schöne Nacht am wildromantischen Ankerplatz „Puertito de la Cruz“. Wir hatten genossen, gegessen und gut geschlafen. Frische Wetterdaten (Gribs) hatten wir uns gezogen. Unser Genaker ist bis 15 Knoten Wind aus richtigem Winkel geeignet. Also wurde das Leichtwindtuch vor Abfahrt in Stellung gebracht. Für den östlichen Teil der Passage waren nur acht Knoten Wind vorhergesagt, für den westlichen, in der „Airport Acceleration Zone“ von Gran Canaria, sollten es bis zu 17 werden.

Diese Acceleration Zones entstehen, weil die Inseln den konstanten Passatwind blockieren, umlenken und zusammendrücken. Dazu wirken einige Inseln in manchen Gebieten zusammen und bilden Düsen, durch die die Luft nochmals erheblich beschleunigt wird.

Unter Motor zogen wir um den Punta Jandia. Der Wind frischte etwas auf und wir hissten Groß und Genaker. Alytes setzte zum Sprung an und war im Nu bei sieben Knoten. Dann siebeneinhalb, achteinhalb. Das war nun die Reisegeschwindigkeit. Ein breites Grinsen auf unseren Gesichtern. Schöneres Segeln ist kaum vorstellbar: Das große, weiße Leichtwindsegel liegt prall im fettblauen Himmel. Ein gleichmäßiger, ruhiger Atlantikschwell sorgt für Bewegung im Schiff und wir rasen fröhlich dahin.

Abschied von Puertito de la Cruz (Fuerteventura)

Abschied von Puertito de la Cruz (Fuerteventura)

Es nähert sich das Verkehrstrennungsgebiet zwischen Fuerteventura und Gran Canaria. Es kanalisiert die Berufsschiffe in einen kleinen Kanal. Sie fahren wie auf einer Autobahn in getrennten Fahrrinnen. Wir als Sportsegler dürfen das Gebiet nur in rechtem Winkel queren. Keine schlechte Regel, denn die Großschiffe fahren hier mit bis zu 30 Knoten und machen keine Gefangenen.

Die Querung gleicht einem Sprint über die A3. Oder einer Partie Frogger unter Einsatz des eigenen Lebens. Mit einem Boot, das auf den Namen „Alytes“ hört, vielleicht die passendere Analogie. Somit steht eine Kurskorrektur an. Wir müssen härter an den Wind. Und der Wind wird stärker. So stark, dass wir der Genaker bald an seine Grenze stoßen könnte. Also holen wir ihn ein und setzen Alytes „normale“ Genua als Vorsegel.

Das AIS zeigt einen Tanker von Süden. Er fährt mit 12 Knoten. Sein Bremsweg wird sicher viele hundert Meter betragen, wenn es drauf ankäme. Aber wir machen uns keine Illusionen. Stellen uns statt dessen den ungeschlagenen Bumperstiker vom Heck des Imperium-Kreuzers aus Spaceballs am Hintern des Tankers vor: „We break for nobody“.

Das AIS sagt uns neben Kurs und Geschwindigkeit auch, dass der CPA (Closest Point of Approach) bei einer Meile liegen wird. Und eine kleine Berechnung zeigt, dass der vor dem Bug des Tankers liegen wird. Seemännisch vermutlich kaum sinnvoll aber durch unser Segler-High erklärt luven wir an, ziehen die Segel dicht und beschleunigen wieder auf achteinhalb Knoten. Wollen durchflutschen.

Die Wellen werden hier, in der Mitte des Kanals höher und steiler. Aufepeitscht durch die Düse. Alytes stürzt sich mit Ihrem Amwindkurs in jeden Brecher. Denn sie beginnen zu brechen. Das Rig ächzt ein wenig und wir entscheiden uns für ein Reff. Den heranstürmenden Tanker im Auge. Ein wenig macht sich mulmiges Gefühl breit. Um keine Zeit zu verlieren, Reffen wir in voller Fahrt. Unser Segel beschwert sich, wir müssen kräftig arbeiten, bei dem Druck. Der Tanker kommt näher und wir fürchten, dass das Reff uns verlangsamt. Aber das ist nicht der Fall. Wir rasen weiter in Richtung der rettenden Zone zwischen den Fahrtrichtungen.

"We break for nobody"; Tanker im Verkehrstrennungsgebiet

„We break for nobody“; Tanker im Verkehrstrennungsgebiet

Noch sehen wir die Steuerbordseite des Großschiffs. Wir sind noch nicht vorbei. Und so, wie bei einem Fallschirmsprung der Boden erst ganz zum Schluss auf den Springer zurast, so scheint der Tanker nun zu beschleunigen. Und wir haben keinen Fallschirm. Jetzt Fallen wir ab, um den Winkel zu verbessern. Alytes reitet die Wellen nun seitlich. Nicht sehr angenehm, aber die hohe Stabilität unseres Bootes sorgt für weiterhin gutes Segeln. Nicht das wir keine weichen Knie hätten. Denn eine Meile hört sich viel an, aber wenn das Objekt mit zwölf Knoten kommt und Alytes mit seinen Stahlwänden um ein Vielfaches überragt, ist das schon ein Anblick. Endlich sehen wir den Bug von vorn. Dann Backbord. Vorbei! Breites Grinsen bei uns.

Auch ein wenig aus Erleichterung. Wir nehmen wieder Kurs auf Gran Canaria. Denn der Wind kommt bei regelkonformer Fahrt aus eher unbequemer Richtung. Auf der Nordbahn kommt uns ohnehin niemand entgegen. Also den Kurs angepasst und ein weiteres Reff gesetzt. Der Wind pfeift jetzt mit 25 Knoten durchs Gebälk. Der Autopilot hat schon aufgegeben, da er die mittlerweile zügig anrollenden Wellen von über zwei Metern höhe nicht mehr ausgleichen kann.

Das Kurshalten ist nun schwere Arbeit, denn der Ruderdruck ist hoch und die Wellen wollen uns immer wieder mit gemächlicher aber unerbittlicher Kraft aus der Bahn werfen. Immer noch großartiges Segeln. Atlantik eben. Alytes jagt trotz zweitem Reff mit Rumpfgeschwindigkeit dahin. Schneller als 8,7 Knoten kann sie nur machen wenn sie surft oder gleitet. Bei unserer Zuladung ist gleiten kaum möglich. Und surfen sollte erst später kommen.

Wir wechseln uns ab, denn die Fahrt ist eine perfekte Vorbereitung für die Überquerung in einigen Wochen.

Wir hatten die Bahia de Gando als Ankerplatz nahe des Flughafens ausgesucht. Vor allem, weil es den Weg kurz hält. Unser Küstenhandbuch nennt zwar starken Wind, dafür keine Welle und guten Haltegrund. Unsere Raytheon Karten weisen alle Küsten von Gran Canaria als militärisches Sperrgebiet aus. Zutritt verboten. Aber das ist Quatsch. Na ja, in den meisten Buchten jedenfalls.

Heide setzt den Anker sicher. Wir sind müde, glücklich und vor allem hungrig. Mina war während der fünf Stunden Fahrt kaum aus der Kajüte gekommen. Draußen war es zu ungemütlich und drinnen konnte sie die von einer neuen Freundin ausgeliehenen Bücher verschlingen. Wir wollten essen. Und auf die Überfahrt anstoßen. Ein müdes Lächeln in den Gesichtern.

Kaum standen wir zu dritt mit laut knurrenden Mägen vor dem Topf mit Aufgewärmtem, hören wir erst einen Außenborder und dann einen Pfiff: Ich schaue raus und am Heck kreuzt ein mit drei nicht ganz schlanken Spaniern überladenes Dingi. Eine Frau in achzigerjahre Neopren, eine in Tarnuniform mit „MP“ Schulterbinde (neonorange) und ein Mittfünfziger, weiße Shorts und nackter Oberkörper. „No Possible. Zona Militaria“. Oder so ähnlich. Hablas ingles? Naturalmente no.

Also weg. Aber wohin? Die nächste Ankermöglichkeit liegt 24 Seemeilen im Südwesten. Wir müssen die Insel ein Stück umrunden. Und wir sind mitten in der Acceleration Zone. Draussen herrschen mittlerweile 27 Knoten Wind. Mit dem Motor raus aus der Bucht. Den Geruch des Couscous mit Hünchen in der Nase. Knurrender Magen. Reffs gesetzt und rein ins Vergnügen.

Es folgen weitere drei Stunden Fahrt. Der Wind faucht nun mit 30+ Knoten durch die Takelage, die Wellen türmen sich und brechen. Stellenweise beginnt grollendes Rollen der See. Schaumkronen überall. Wir bekommen einen Geschmack von Sturm. Monsieur Beaufort nennt das „steifer Wind“. Also nur ein Amuse-Geulle. Ein kleiner Gruß aus der Wetterküche.

Wir könnten unter Moter an der Küsten entlangschleichen, auf Schutz der Klippen hoffend. Aber das AIS zeigt einen Segler, der genau das versucht. Er wird mit sieben Knoten geschoben. Sieht nicht nach Schleichen aus. Sieht auch nicht nach Spaß aus. Unser Segelkurs verspricht über acht Knoten. Aber wir müssen erst aufs Meer hinaus, um uns halsend den richtigen Winkel für unsere Ziebucht zu erarbeiten. Seglernormalität, sicher. Für uns, müde, hungrig und mit beschränkter Routine gesegnet, eine Überwindung.

Trotzdem Kurs weg vom Land gesetzt. Wir jagen dahin und sehen, wie die Küste zurückfällt. Jede Welle will nun sehr bewusst angesteuert werden, sonst droht Alytes querzuschlagen. Dann würde es ungemütlich.

Während ich am Steuer stehe und Alytes auf Kurs halte, kommen Gedanken, die ich vom Radfahren aus Schulzeiten kenne: Bei voller 55 Km/h-Downhillfahrt blitzen plötzlich Bilder von einer losen Mutter am Vorderrad auf. Schlucken. Könnte das passieren? Uncool. Der Ruderdruck im Hier und Jetzt ist ordentlich, die Wellen hauen gut rein. Ob das hält? Quatsch. Natürlich. Alytes ist robust und ist nicht schwieriger zu lenken als andere Boote. Trotzdem ein wenig Salz in der Gedankensuppe der Wache.

Endlich haben wir den Wendepunkt erreicht. Eine neue Herausforderung für uns: Eine Halse bei 30 Knoten Wind. Wir sprechen das Maneuver zweimal durch. Checken nochmal alle möglichen Fehlerquellen. Rollen sind verteilt. Der Wind faucht, die See grollt und murmelt. Traveller mittschiffs. Großschot rangeholt. Rund achtern. Es rummst trotz kurzer Schot. Aber besser geht’s wohl nicht. Der Baum ist rum, die Schot gefiert. Das ohnehin gereffte Vorsegel flattert und ist als zweites dran. Klappt. Neuer Kurs: Raumschot. Geschafft und erleichtert. Standardrepertoire, eigentlich, aber wir sind ja noch klein ;-).

Zwei Stunden jagen uns die Wellen nun von schräg hinten. Eigentlich angenehm, doch sie sind nun hoch und rollen in größeren Gebieten. Es ist wirklich laut, trotz des achterlichen Windes, der durch den Fahrtwind gezähmt wird. Volle Konzentration. Alytes kann als Katamaran keinen Wind durch die Neigung des Bootes „loswerden“. Und wenn wir uns durch Querschlagen plötzlich verlangsamen, fehlen achteinhalb Knoten Fahrtwind. Die kommen zum „gefühlten Wind“ hinzu. Und das wird dann haarig. Also weitergespurtet. Hunger und Durst sind irgendwie verdrängt. Erst in der Nacht werde ich feststellen, dass ich dehydriert bin.

Alytes surft einige der Wellen mit nun über zehn Knoten (10,2 war unser Rekord) hinab. Sehr cool, aber auch ein Zeichen, dass wir besser das dritte Reff gesetzt hätten.

Endlich, endlich erreichen wir den neuen Ankerplatz: Puerto Pasito Blanco. Hübsch. Wir? Müde, hungrig, erleichtert, glücklich und stolz.

„Mina, wie fandest Du die Überfahrt?“ „Och, war ein wenig langweilig.“
Na prima.

Bücher: Keine
Musik: AC/DC Live

8 Gedanken zu „Feuertaufe – Kanarische Beschleunigungszonen

    1. AlytesSkipper Beitragsautor

      Liebe Katja,
      wir haben uns sehr über Deine Nachricht gefreut!
      Bei uns geht alles gut. Es ist – wie man so schön sagt – „hinreichend abenteuerlich, ohne gefährlich zu sein“. Also alles, was sich die Couch-Humboldts so vorgestellt haben ;-).
      Hoffe es bleibt weiter spannend. Wir wünschen Euch einen tollen Winter in der schönsten Stadt der Welt!
      Herzliche Grüße nach Bochum,
      Fritze

    1. AlytesSkipper Beitragsautor

      Hi Andreas,
      haben uns sehr über Deine Nachricht gefreut!
      Du wirst lachen: Die Tage am Grevelinger Meer waren tatsächlich meine ersten Kontakte mit einem Segelboot. Die Pinguin IV ist also im Geiste die Mutter von Alytes 😉 Unvergessen unsere großen Erfolge beim Angeln von „Weißfischen“ (hießen die so?).
      Ich hoffe, bei Euch ist alles OK. Die Wettermeldungen von 25° C haben mich ein wenig eifersüchtig gemacht. Hier haben wir nur 24,3. Mist!
      Herzliche Grüße und auf bald,
      Fritze

  1. Andreas

    Hab euren Blog nun doch gefunden und bin schon beim ersten Beitrag seekrank geworden. Sehe mich als kleiner Junge aus der Pinguin IV durchs Grenzlinie Meer bei Schlechtwetter scheppern mit Hose voll… Respekt gold.

    Wünsche euch weiterhin gutes Gelingen und gute Entscheidungen. Grüzi aus Griechenland

    1. Heide

      Hallo Sabine,
      ja, die Kanaren haben noch mal ganz andere Anforderungen und wir haben viel an Erfahrung in den letzten Wochen dazu gelernt. Es bleibt spannend. Der Anker hat hier übrigens immer toll gehalten, damit gab es Gott sei Dank keine Überraschungen mehr. 😉
      LG, Heide

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